Samstag, 1. August 2009

Katherine Mansfield: In einer deutschen Pension

Ein hässliches Buch. KiWi, 1982 erschienen. Ob das mal rosa war? Der Baum drauf, unten mittig, das Logo, ist grün. Die Schrift ist eine geschwungene, aber viel zu regelmäßige und auch zu verschnörkelte Schreibschrift. Eine Illustration gibt es nicht, der Umschlag ist verfärbt, und zwar so, dass man ihm ansieht: Es stand einmal ein kleineres Buch, während die Sonne schien, neben diesem auch nicht sehr großen. Was möglicherweise immer schon so ein blässliches Rosa war, wird nun von einem graugelben Rand gesäumt, der bei näherer Betrachtung mit der Farbe meines Schreibtischs beinah identisch ist.

Hinten drauf blickt Katherine Mansfield auf einem monochrom blauen Foto der Leserin und dem Leser sehr ernst ins Gesicht. Sie ist früh gestorben, das weiß man, darum, denkt man, hat sie immer schon ernst geblickt. Was für ein Blödsinn das ist, merkt man spätestens bei der Lektüre dieser teils hinreißend bösartig komischen Erzählungen, die das sind, was man die Verarbeitung eigenen Erlebens nennt. Das eigene Erleben war eine Kur in Wörrishofen, die Mansfield macht, als sie gerade mal 21 war. Was sie schildert, ist also, wie sie unter die Deutschen fiel. Es ergibt sich das Sittenbild einer Nation, aus der man nachträglich noch, wenn man das liest, nur möglichst schnell reißaus nehmen will.

Nicht alle der acht Erzählungen, die ich gelesen habe (bis "Das Luftbad") haben dieselbe, als Mansfield-Stand-In auszumachende Ich-Erzählerin, sehr wohl aber die meisten. Der Blick dieser jungen Frau auf ihr Umfeld, auf die Hölle, die die anderen sind, ist scharf und bitter und ganz und gar gnadenlos. Als erstes tritt auf ein Herr Rat, in einem Text, der heißt: "Deutsche beim Fleisch". Ganz richtig. Nichts ist ekliger als Deutsche, die essen wie Schweine. Ich erinnere mich an eine Szene in Helmut Käutners Verfilmung von Alfred Anderschs Roman "Die Rote". Darin tritt als fressende deutsche Sau Gert Fröbe auf, unvergesslich. Was muss sie gelitten haben! (Mansfield jetzt.) Und wie süß ist die Rache, mit Kartoffeln und Rindfleisch serviert. (Allerdings in Übersetzung sehr verspätet, nach siebzig Jahren.) Diese Deutschen sind, was immer sie treiben, die Pest. Einer etwa hat bei Tisch einen - was durchaus zur Sache tut, mit München zusammenhängenden - Gedanken: "Der Gedanke regte ihn an, sich Hals und Gesicht mit der Serviette abzuwischen und sich sorgfältig die Ohren zu reinigen." So sind sie eigentlich alle: Sie tun Widerliches und denken sich, was vielleicht das noch Schlimmere ist, rein gar nichts dabei. "Der Baron" in der nächsten Erzählung ist einer, der sich immer abseits hält und nie etwas sagt. Am Ende stellt die Erzählerin ihn doch zur Rede. Er könne so, verkündet er (stolz!), ungestört immer zwei Portionen verdrücken.

Außerhalb, abseits ist dies Ich. Wird gestört, schießt Giftpfeile - adressiert ans Erzählpersonal, mehr noch an die Leserschaft -, blickt sehr genau hin und konfrontiert ein ums andere Mal das Hochtrabende, wenn nicht Heilige mit dem Profanen. Eine Szene, sie liest etwas über Lourdes: "'...Es war ein einfaches Hirtenmädchen, das auf dem kahlen Feld die Herde weidete...' Stimme aus dem Zimmer oben: 'Der Waschständer ist natürlich mit Seifenwasser abgeschrubbt worden.'" Simple satirische Technik, immer wieder brillant eingesetzt. Dazwischen sexistischer Unfug, von Männern geredet, deren Frauen ans Widersprechen nicht denken.

Nichts entfaltet sich in den Texten. Mansfield setzt Figuren in Szenen vor Augen. Die Charaktere entwickeln sich nicht, haben nicht mehr als zwei Dimensionen, sind Karikaturen, ich sehe Daumier-Umrisse vor mir. Ungefähr sowas:


Ein wenig mehr psychologisches Fleisch auf den Rippen haben die Erzählungen, die aus dem Kurhaus ausbrechen und die - relative - Neutralität der dritten Person suchen. "Frau Brechenmacher nimmt an einer Hochzeit teil" ist eine davon. Hier bleibt der Ekel, den die Titelheldin angesichts ihres Mannes empfindet, unterschwelliger und umso bedrückender. Der Mangel an Zentralerspektive tut auch dem Blick auf die Hochzeitsgesellschaft gut. Sie scheint prismatischer aufgefächert, als würde schneller und desorientierender die Blickrichtung gewechselt. (Keineswegs ist das im Ergebnis minder böse. Nur zu mehreren Stimmen gesetzt.)

Der Kontrast ist in "Bei Lehmanns" wohl am stärksten. Eines nämlich ist die Erzählerin der anderen Text ganz sicher nicht: unschuldig. Sie konfrontiert das Verfressen-Selbstgefällig-Dröge der Deutschen mit der Überlegenheit derjenigen, die die Dinge beim Namen nennt. Ihr Spott zerstört das Aufgeblasene nicht durch Naivität, sondern durch eine aufgeklärte matter-of-factness, durch einen Blick, der eher dem einer Zoo-Besucherin gleicht, die in ein Gehege mit zwar widerlichen, allerdings (für die Besucherin jedenfalls) ungefährlichen Tieren geraten ist - und hinterher davon, gerettet, ihresgleichen berichtet. Und zwar, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Um Sex geht es, wenn es um Sex geht, mehr als nur ungefähr. Am Ende von "Die moderen Seele" gehen ein schnösliger Professor und eine eingebildete Schauspielerin auf einen Tagesausflug in den Wald. Das mindeste, was der Erzählerin dazu einfällt: "Ich hatte so meine Gedanken."

Anders ist Sabina, die Heldin von "Bei Lehmanns". Sie ist die Unschuld und damit auch die Verführbarkeit selbst. In einer Konditorei arbeitet sie und wird ausgenutzt, verkauft Schokoladenkuchen und Zuckermandeln, während oben Frau Lehmann Geräusche macht: hochschwanger und vom Ehemann, der sie unappetitlich findet, weggesperrt. In die Konditorei kommt ein Junger Mann, der einfach nur Junger Mann genannt wird. Wir sind hier im Typischen. Unschuld trifft auf Verführer. Verführer liest Buch und zeigt Unschuld ein Bild darin: Nackte Schönheit auf Bett. Könnten Sie sich nicht vorstellen, fragt er... Sabina, die gerne wüsste, aber nicht weiß, was Männer mit dem Kriegen von Kindern zu tun haben, möchte nicht. Und ist, verführbare Unschuld, doch versucht. Sie geht mit dem Jungen Mann nach hinten. Es kommt zum Kuss und wer weiß, was passierte, käme nicht in diesem Moment unter großem Geschrei oben ein Mensch auf die Welt.

1 Kommentar:

  1. Das ist Mansfields Erstling. Ihre späteren Stories sind allesamt komplexer, raffinierter, weniger satirisch, großartig!

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