Sonntag, 2. August 2009

Johannes Mario Simmel: Die Antwort kennt nur der Wind

Äh, habe ich das Mansfield-Cover hässlich genannt? Großes Sorry, richtig hässlich ist was anderes. Richtig hässlich ist das Cover zur Knaur-Taschenbuchausgabe, 151. - 165. Tausend Februar 1980, von Johannes Mario Simmels Roman "Die Antwort kennt nur der Wind". Keines der legendären Nur-Schrift-Schreibschrift-Hardcover-Cover in fett und bunt. Die hatten ja irgendwie was. Das hier dagegen ist mehr wie Georgette Heyer. Oder jedenfalls wie ich mir Georgette-Heyer-Cover vorstelle. (Ich habe gegoogelt: Die sehen ganz anders aus.) Also, der Simmel hier: Namenszug hässliche Schrifttype rot, Titel selbe hässliche Schrifttype blasslila, Genrezuordnung (Roman) und Verlag (Knaur) immer noch selbe Schrifttype mattrosa. Damit ist der Titel aber noch nicht voll. Im unteren Drittel sitzen, Stirn an Stirn, grafisch freigestellt, ein dunkelblonder Mann und eine blonde Frau in der nicht zu sehenden Abendsonne. Ihre Bluse, weiß, hat Rüschen. Sein rechter Arm ist abgeschnitten, vom unteren Buchrand. Ihre linke Hand greift nach der Knopfleiste seines Hemds. Ineinander versunken sehen sie aus.

Richtig gaga ist der Klappentext auf dem Rücken des Bandes. Er ist klein, lang, sans-serif-nüchtern. Da hat einer was zu sagen, so viel ist klar. Ich zitiere nur die ersten beiden Sätze: "Johannes Mario Simmel hat in jedem seiner Bücher ein heißes Eisen angepackt. Diesmal ist er direkt ins Feuer gesprungen - hinein in eine Hölle von Gewissenlosigkeit, Gemeinheit und Gewalttat." Meine Herren. Ein Höllensprung - und wo landet der Mann: Mitten in erstens Metaphern und Alliterationen und zweitens den verbrecherischsten Finanzweltspekulationen. Und geografisch: An der Cote d'Azur. Oder, kurz gefasst: "Rätselhaftes und Unheimliches, aber auch das Wunder der übermächtigen Liebe zweier Menschen geschieht in der paradiesisch schönen Landschaft der Cote d'Azur, in den Luxus-Residenzen der Milliardäre, auf Hochsee-Jachten, in exklusiven Hotels, auf prunkvollen Galas und in den Spielsälen der Casinos."

Das Wunder, das in der Straßenverkehrslandschaft des Mehringdamms geschah: Ich habe meinen ersten Simmel gelesen. Gut, nicht bis zum Schluss, aber immerhin bis Seite 160, zum Ende des Ersten Buchs. Das ist schon ein Ding: Ich hab in meinem Leben wirklich jeden Scheiß verschlungen, aber Simmel bis gestern und heute: niemals. Durchaus erinnere ich mich an literarkritische Nobilitierungsversuche irgendwann in den späten, schätze ich, Achtziger Jahren. Da wurde der Mann zwar auch nicht für literarisches Können, aber doch fürs rasche Aufgreifen heißer Eisen und das rasche Schmieden vorliegender Eisen mit erfreulich gesellschaftskritischem Linksdrall gelobt. Zur Lektüre aufraffen konnte und/oder wollte ich mich damals jedoch nicht.

Und es ist wahr: Einen Drall, der sich als links und gesellschaftskritisch versteht, den hat das. Dialoge wie dieser lassen an Eindeutigkeit der Selbstverortung zu wünschen wahrhaftig nichts übrig: "'Es interessiert mich sogar sehr, Monsieur Lucas. Ich bin Sozialistin. Ich nehme an, Sie sind Sozialist.' 'Natürlich', sagte ich. 'Was kann man heute noch anderes sein, wenn man kein Idiot ist.'" Rhetorische Frage. Simmels Antwort: Ein verbrecherischer Zyniker natürlich. Einer von jenen 'zweieinhalb Prozent der Bevölkerung in Amerika zum Beispiel', die 'zwei Drittel der Wirtschaft kontrollieren. Alles, alles, auch eine Inflation, macht sie noch reicher - und alle anderen Menschen immer ärmer und ärmer." Das ist, in den groben Zügen, die ihm selbst ganz und gar eigen sind, das Weltbild des Johannes Mario Simmel.

Und es ist der große Rahmen des Buches. Sein Held, Monsieur Lucas, todunglücklich verheiratet, herzkrank, sterblich sich verliebend in Cannes in die Malerin Angela Delapierre, reist als Agent einer Versicherungsgesellschaft mit dem sprechenden Namen "Global" nach Südfrankreich. Eine Jacht flog in die Luft, zwölf Tote, dahinter steht eine multinationale Devisenspektulation, deren Details sich, da erst im Zweiten Buch enthüllt, meiner Kenntnis entziehen. Siebzig jenseits des Steuerzugriffs marodierende Milliarden sind im Spiel. Das Pfund wird entwertet. Die Gesetze versagen. In Cannes wird gemordet. Und in Düsseldorf begeht eine Rentnerin Selbstmord, weil sie sich den Platz im Altenheim nicht leisten kann. Das Große aus der Perspektive des kleinen Mannes bzw. der alten Frau zu betrachten: das ist Simmels erfolgversprechend komplexitätsreduzierende Masche.

Umgehaun hat mich, vom Prolog an, die jedes Wort, jeden Satz, jeden Gedanken, jede Bewegung des Plots, jede Figurenbeschreibung instantan ins literarische Nirvana befördernde Trivialität. Dabei ist gerade der Prolog immerhin angenehm delirant. Da geht sehr schön alles was folgt schon mal wild durcheinander. Die Intrige, eine Erpressung, die alte Frau aus der Apotheke, die übermächtige Liebe. Was daran liegt, dass hier ausgerechnet der Ich-Erzähler stirbt, und zwar mit den folgenden letzten Worten: "Dann war ich tot." Klingt experimentell, ist aber - ich habe zum Schluss geblättert, shame on me - alles Quatsch. (Was nicht heißt, Spoilerwarnung, dass Monsieur Lucas am Ende nicht tatsächlich tot wäre. Aber auf anderem Wege.)

Als, ich belasse es bei diesem einen Beispiel der Simmelschen "Beschreibungsimpotenz" (Handke) , der Held der Frau, die er dann lieben muss, erstmals ansichtig wird, ist er hin und weg und gibt diesem Zustand Ausdruck, indem er ihr "schmales Gesicht mit einem schön geschwungenen Mund", ihren "sehr schönen Körper" und ihre "vollendet schönen Zähne" lobt. Wer die Schönheit angeschaut mit Phrasen... Freilich war Simmel für seine sexuelle "Beschreibungsimpotenzkompensationspotenz" (Marquard) berüchtigt. Hier tritt sie erst einmal an seltsamer Stelle auf, in der Praxis eines Arztes etwa, der immerzu einen Phallus auf seinem Schreibtisch streichelt. (Manchmal bin ich kurz davor gewesen, Simmel fast ein bisschen zu lieben für solche Gaga-Ideen. Ganz selten kippt die Trivialdeliranz nämlich in etwas schwer zu beschreibendes anderes und im doppelten Sinn Tolles. Nichts, das mit "camp" (Sontag) zu tun hätte. Eher jene Art Irrsinn, die mich verstehen lässt, warum Dominik Graf so gerne Simmel verfilmen möchte.)

Insgesamt hilft's aber nichts. Die große Welt, die man hier kennenlernt, ist eine ganz schön erbärmliche Kleinbürgerfantasieausgeburt. Nicht mal in den Verwicklungen des Plots liegt die mindeste kriminalliterarische Raffinesse. Jetzt gib dir doch mal ein bisschen Mühe, Johannes Mario! Denkt man. Das wirkt alles so schnell runtergeschrieben, wie es vermutlich auch ist. Das ist, vor internationalem Niveau betrachtet, sogar nur Thrillerersatzersatzliteratur. In krakeliger Altfrauenschrift steht eine Widmung in diesem hässlichen Buch:

Lieber Gottfried, liebe Ursula dies als kleines Dankeschön für Eure Gastfreundschaft. Eure Ingeborg.

P.S.: Trivia. Das Wort Popcorn wird bei der ersten Verwendung als Puffmais ins Deutsche übersetzt. (Übrigens: Der den Puffmais in sich schlingende schweinehässlich-gefräßige Deutsche könnte als Typus glatt aus Katherine Mansfield Buch hier rüber geraten sein.) Und: Eine Telefonverbindung von Cannes nach Düsseldorf kann - an einer Stelle jedenfalls - nicht direkt hergestellt werden. Man muss sie anmelden und Stunden darauf warten.


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