Samstag, 29. August 2009

Casanova: Meine Flucht aus den Bleikammern von Venedig

Casanova. Band 7 von 21. Goldmann. Lilo Rasch-Nägele rokokoisiiert auf dem Cover. Ein Mann, das Kinn auf die rechte Hand gestützt: wohl Casanova. Dahinter ein älterer, dickerer Mann, wohl der Vater Balbi, der von Casanova rechtschaffen verachtete Vollidiot, mit dessen Hilfe ihm jene "Flucht aus den Bleikammern von Venedig" gelang, die dem Band auch den Titel gibt.

Dies ist das Kapitel aus seinem Leben, das Giacomo Casanova bereits vor seinen monumentalen Memoirenwerk schrieb und 1787, als zu Tode gelangweilter Bibliothekar auf Schloss Dux, veröffentlicht hat. An der Authentizität der atemberaubenden und oft mit Skepsis betrachteten Fluchtgeschichte duldet eins jedenfalls keinen Zweifel. Si non e vero, e bon trovato. Hinein in den Knast, die Zellen unterm Bleidach im Ostflügel des Dogenpalasts von Venedig, kommt Casanova aus mancherlei und darum auch keinem ganz klaren Grund. Freimaurerei, die Liebesaffäre mit einer Nonne, verbotene Bücher über Magie, Spielschulden vielleicht auch. Von einem Tag auf den andern, er ist dreißig, sitzt Casanova im Engen, Niedrigen, Stickigen, Dunklen und Verschlossenen und weiß nicht, ob er je wieder rauskommt.

Er ist die meiste Zeit allein, einmal erwacht er und stößt beim Herumtapsen auf eine eiskalte fremde Hand. Es dauert, bis er begreift, dass es seine eigene ist: So wird einer in einer prägnanten Szene sich selber ein Fremder. Und so wird er, schreibt Casanova, zum Denker. Lange bleibt er allein. Er liest, die Vergünstigung wird ihm nach einer Weile gewährt, Bücher. Unter anderem von Boetius den "Trost der Philosophie". Einmal bebt die Erde, kurz hofft er, der Palast stürze vielleicht ein. In Wahrheit zittert hier ein epochales Ereignis in Casanovas Dunkelkammer hinein: "Dieses Erdbeben hing mit dem großen Erdbeben zusammen, durch das zu gleicher Zeit Lissabon zerstört wurde."

Unter Casanovas Blick wird der Bleikammerknast freilich eher zur hellen Kammer, in der er die eigene Zeit in scharf umrissenen Aufnahmen festhält. Denn er bleibt nicht die ganze Zeit allein, andere Gefangene werden ihm für kurze Zeit zugesellt. Ein junger Diener, der die Tochter des Herrn verführt hat: dem kann Giacomo, wie sich von selbst versteht, seine Sympathien nicht verweigern. Anders bei einem Spion, dem er, sehr zu recht, jeden Verrat zutraut. Anders auch als beim Mann, der es auf den Titel geschafft hat: Vater Balbi, ein törichter Mann vieler, aber durchweg selbst noch mittelmäßiger Laster, den Casanova mit manipulativem Geschick zum Fluchthelfer macht und nach gelungener Flucht fast nicht mehr loswird.

Wie überhaupt auch in diesem Memoiren-Kapitel, in dem es um die Verführung von Frauen nur ganz am Rande gelegentlich geht, Casanova als großer und raffinierter Manipulator erst recht kenntlich wird; als einer, der die Schwächen der Mitmenschen blitzschnell erkennt und, bei gleichzeitiger Verachtung des andern, für sich zu nutzen versteht. Als Erzähler aber ist er eine ehrliche Haut und leugnet das eine - die Verachtung - wie das andere - die Manipulation - nicht. Die dazu passende Moral zimmert er als Impromptu mal so und mal so. Was sich durchhält: Er ist der, der immer davonkommt.

Schmerz und Gefahr nimmt Casanova auf sich für die Flucht aus dem Kerker. Blutig schindet er sich beim Schnitzen eines scharfen Meißels. Er gräbt ein Loch in den Boden und am Vorabend seiner geplanten Flucht wird er in eine andere Zelle verlegt, mit Blick auf den Lido. (Eine der Stellen, von denen man annehmen darf, dass der Autor der Wirklichkeit hier dramaturgisch ein bisschen aufhalf.) Balbi gräbt dann die Löcher für ihn. Dem Zellengenossen erzählt Casanova erheiternden Blödsinn von der zu erwartenden Ankunft eines Engels. Die Fliehenden steigen durchs Dach - ich lese bei Wikipedia: Reparaturarbeiten am Dogenpalastdach sind schriftlich verbürgt, der wohl stärkste Hinweis auf die Authentizität von Casanovas Bericht. Das Abseilen gelingt nicht, also steigen sie am anderen Ort durchs Dach wieder ein in den Palast. Warten vor verschlossener Tür. Und können entweichen, als ein Palastbediensteter diese ahnungslos öffnet. Auf nach München. Dann Paris. Abenteuer warten und mein Band ist aus.

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