Donnerstag, 23. Juli 2009

Johannes Bobrowski: Erzählungen

Band aus der Ost-Reclam-Universalbibliothek. Ich mag diese Bücher. Schlicht, nur schwarz, nur weiß (und gelblich grau: das Papier), nur Schrift. Und hinten drauf steht DDR 1,50 M. Auf diesem jedenfalls. Wie in DDR-Büchern üblich: Das Inhaltsverzeichnis hinten; ich weiß nicht, welcher Tradition oder welchem Zufall oder welchem Tradition gewordenen Zufall sich diese Differenz verdankt. Ein Nachwort gibt es, von Bernd Leistner. Ich kenne den Namen nicht, aber das Nachwort ist zwar - wie in DDR-Nachworten üblich - so verschlüsselt, dass man auf kein einziges Wort seinen Fuß setzen zu können glaubt, ohne dabei einzubrechen; es ist auch in einem hohen Ton gehalten, in dem Bürokratisches und Hochgeistiges seltsam vermischt sind. Und doch scheint es mir nicht ideologisch verdummt. Leistner, lese ich in der Wikipedia, hat in Chemnitz noch bis 2004 einen Lehrstuhl für Literaturwissenschaft innegehabt.

Andererseits steht im Nachwort auch der folgende Satz: "Von einer solchermaßen gefestigten Position aus wird dann auch, 1964, die Geschichte des Poeten Boehlendorff erzählt, eine Geschichte, die, klar historisiert, als ein nachdenklich stimmendes Exempel einem Publikum mitgeteilt wird, dessen Ansprechbarkeit keinem Zweifel ausgesetzt erscheint und dem sich der souverän hervortretende Gegenwartserzähler vertrauensvoll und auffordernd zugleich zuwendet."

***

"Boehlendorff" ist die erste Geschichte des Bandes. Wobei man sich durchweg fragt, ob das, was hier "Erzählung" heißt, wirklich "Erzählung" ist und wirklich "Geschichte" im Sinne von "tale". Denn ein Erzähler im engeren Sinn ist der Lyriker Bobrowski nicht. Das ist nicht abwertend gemeint, denn es sind teils ganz großartige Texte, die ich hier gelesen habe. (Bis zu "Brief aus Amerika", Seite 50.) Wenn einer "souverän hervortretender Gegenwartserzähler" sagt, stelle ich mir aber etwas ganz anderes vor als die szenische Installation, als die ich "Boehlendorff" lese. Deren erster Satz lautet: "Auf diesem ungewöhnlichen Weg." Ganz richtig: Punkt. Eine Szenenanweisung, die ein Zitat ist, aus einer Anzeige des Kasimir Anton Ulrich Boehlendorff, den es wirklich gab. Ein Dichter, der nicht ins Gebirg ging, sondern in seine östliche Heimat zurückkehrte. Und im Mitauer Intelligenzblatt um Geld, einen "Kreditbrief über einhundert Taler" genau gesagt, bettelte.

Ihn lässt die Erzählung, in Szenen, in Fetzen, in Dialogen, in Wiederholungsschleifen ("Zählen zählt alles") erst elend leben, dann sterben. An "Lenz" muss man denken. Namen sind wichtig. Leute, denen er begegnet, historisch verbürgt allesamt, denkt man. Alles ganz genau lokalisiert und situiert, aber wie ein Geist geht Boehlendorff durch diese Welt, wie ein Geist, dessen Bewegung Bobrowski vom ersten Satz an einschreibt: Sie wird enden. Boehlendorff war ein Dichter, Autor von Dramen, anderen Texten, nicht aufgeführt, ohne Erfolg. Er zog aus, die Welt zu erobern und kehrt, da erwischt ihn Bobrowski ("nachdenklich stimmendes Exempel"), gescheitert zurück. Er hofmeistert herum, wird angesprochen, scheint in diesem Text, der mit seinen dreizehn Seiten einer der längsten im Buch ist, nicht mehr antworten zu können. Das Schweigen des Boehlendorff liegt über den Fetzen, den Namen, dem Gehen, dem Gesagten.

In "Junger Herr am Fenster" erhängt sich Schopenhauers Vater, was ich aber nur begreife, weil der Kommentar - ein kleiner Apparat am Ende des Buchs - es verrät. Ganz kurzer Text, eine Einkreisbewegung, oder eher: ein Vor und Zurück wie ein Kamerazoom, auf den Giebel, auf den der Ich-Erzähler, der also Schopenhauer ist oder wäre, wieder und wieder, vor- und zurückkommt.

Eine Szene, die sich mit Welt und Geschichte füllt, schildert "D.B.H." Die Initialen stehen für Dietrich Buxtehude, den Komponisten. Er steht "hinter dem Prospekt, mitten in seiner Orgel". Von hier denkt er, nach vorne, er denkt auch zurück. Bewegung auf der Szene als Prinzip des Bobrowskischen Erzählens: darum wahrscheinlich diese Assoziation mit dem Installativen; etwas, einer wird da hingesetzt, hingestellt und der großartigen Sprache Bobrowskis überlassen. Einer Sprache, die in kurzen, aber nicht hektischen Rhythmen Landschaften entwirft, szenisch. Aus den Konkretionsreihen entsteht ein rhythmisiertes Bild aus Fragmenten; es schließt sich nicht.

Ein paar Worte zu "Epitaph für Pinnau" noch. Fast etwas wie ein Musterbeispiel von Ekphrasis; ein Gemälde, das zu Leben erweckt wird. Tischgesellschaft bei Kant, in Königsberg. Hamann ist zu Besuch. Aber am Anfang nähert sich erst etwas, man wird in die "Erzählung", die eine Inszenierung ist, hineingeführt wie von einer Assistenzfigur in der Malerei. Oder, man muss genauer sein: Erst wird das Bild gemalt: "Vor Kants Haus steht kein Baum." Dann kommt Ton dazu. Und die Assistenzfigur ist rein akustisch. Das sind "Stöcke", die man, sich nähernd, beinahe wirklich hört, über eine London- und eine Swedenborg-Assoziation hinweg hört. Oder vielleicht, weil sich der Text hier gleich für eine Assoziation öffnet, lässt sich auch das Hören der Stöcke ungenannter sich nähernder Personen so leicht herbeiassoziieren: "Aber jetzt nähern sich die ungeduldigen Stöcke und werden zu laut. Es ist eine Plage mit den Stöcken." Ungeduldig sind sie. Erlebt, denkt man ist die Rede. Er ist unklar, wer hier spricht. Vielleicht Kant. Und: Es hat sich schon wieder einer erschossen. Pinnau diesmal. Ein Epitaph für ihn ist diese Erzählung.

2 Kommentare:

  1. Hallo Mehringdamm,

    ist ja schön zu hören, dass Bobrowski noch gelesen wird. Leider ist er heute so unbekannt, dass die 1,50 Ostmark sogar noch den üblichen 1 Euro Antiquariatspreis heute übertreffen. Ich habe grade meine Studienabschlussarbeit über "Boehlendorff" geschrieben, die mich viel Nerven gekostet hat, aber dennoch ist Bobrowski ein toller Autor, bei dem man sich vor Anspielungen kaum retten kann. Hat mich gefreut, mal etwas Nicht-Akademisches, aber deswegen nicht weniger Interessantes über Bobrowskis Erzählungen zu lesen. - Der Gedanke, dass "Epitaph für Pinnau" nach dem Muster einer Ekphrasis geschrieben ist, ist übrigens sehr interessant. Wäre nicht die einzige Bildbeschreibung bei Bobrowski, hier aber offensichtlich die Beschreibung eines _fiktiven_ Bildes. Wenn man da mal bohrt, stößt man vielleicht auf Öl.

    liebe Grüße,
    ein Zufallsleser

    AntwortenLöschen
  2. Ich kannte vorher nur Gedichte (und nicht gut und nicht viele), finde aber diese Prosatexte auch großartig. Schön zu wissen, dass immerhin noch Abschlussarbeiten über Bobrowski geschrieben werden.

    AntwortenLöschen